Artensterben: Und plötzlich sind sie wieder da
Es ist ein Phänomen für sich. Längst ausgestorbene Tier- und Pflanzenarten existieren plötzlich wieder und tauchen wie aus dem Nichts wieder auf. Auch wenn ihre Zahl im Vergleich zu der enorm hohen Anzahl der ausgestorbenen Arten nicht zu vergleichen ist, macht das Hoffnung auf mehr. Zumal die wiedergekehrten Arten von Naturschützern und Wissenschaftlern entsprechend geschützt und verbreitet werden.
Bild von Gerd Altmann auf PixabayJedes Lebewesen, und sei es noch so klein, hat eine existentiell wichtige Aufgabe und ist ein Teil unserer genial und perfekt aufeinander abgestimmten Ökosysteme. Fehlt dieses und stirbt es aus, gerät sein Lebensraum Stück für Stück ins Wanken. Ein Massensterben der Arten, wie wir es heutzutage, herbeigeführt durch die Lebensweise des Menschen, erleben, gab es zuletzt vor etwa 70 Millionen Jahren, als evolutionsbedingt und durch andere Einflüsse, die Dinosaurier ausgestorben sind.
Schätzungsweise sind 99 Prozent aller Arten, die es jemals gab, während der Evolution wieder ausgestorben. Eigentlich ein natürlicher Prozess, der seit ca. 4,1 Milliarden Jahren andauert. Das heutige durch Menschenhand herbeigeführte Massensterben von Tier- und Pflanzenarten, dieser kaum fassbare Biodiversitätsverlust, ist alles andere als natürlich und ein weltweit alarmierendes Problem, das für Mensch und Natur ein bedrohliches Ausmaß angenommen hat. Mehr als 2 Millionen Arten sind bedroht. Täglich sterben 150 Arten aus. Viele werden schneller zerstört, wie sie erforscht werden können. Mit jeder einzelnen verschwindet auch ihre eigene Historie, die über Jahrmillionen Jahre gewachsen und entstandenen ist. Eben das, was man Evolution nennt. Bis eine neue entsteht, vergehen bei Säugetieren beispielsweise etwa eineinhalb Millionen Jahre. Vor allem Vögel weisen enorme Verluste auf. Seit 1500 sind 187 Vogelarten einfach nicht mehr da. In Europa gibt es seit 1980 insgesamt 600 Millionen weniger Vögel, wenn man zu den ausgestorbenen die noch existierenden Vögel mitrechnet, deren Zahl sich ebenfalls stark verkleinert hat.
Totgesagte leben länger? Ausgestorbene Arten tauchen plötzlich wieder auf.
Vor 100 Jahren ausgestorben: der Takahe-Vogel, Bild von Nel Botha auf PixabayUmso erstaunlicher und umso erfreulicher ist es, dass über 350 Arten nach bis zu 150 Jahren oder mehr wieder auftauchten. Dies wird der Lazarus-Effekt genannt. Lazarus ist seinem Mythos zufolge von den Toten wieder auferstanden. Hier ein paar Beispiele:
Der Takahe-Vogel galt seit 1898 als ausgestorben. Seine Heimat war und ist Neuseeland. Ende des 19. Jahrhunderts wurden durch die Einwanderung von Europäern Fressfeinde wie Ratten und Wiesel in seinem Lebensraum heimisch und rotteten ihn aus. Seit 1898 wurden nur sehr vereinzelte und unbestätigte Sichtungen gemeldet. Es gibt ihn seit dem Pleistozän, dem Zeitabschnitt, der vor ca. 2,6 Millionen Jahren begann. Diese prähistorischen Vögel sind so groß wie eine Gans, ihr Gefieder schimmert blau-bunt und sie sind offenbar zäh. 1948 wurden die flugunfähigen Blaurallen von dem Arzt Geoffrey Orbell wiederentdeckt. Durch bis heute andauernde Artenschutzprogramme konnten sich ihre Populationen wieder stabilisieren. Es gibt nun wieder rund 500 Takahe-Vögel und jedes Jahr kommen acht Prozent dazu. Damit eine Art längerfristig eine Überlebenschance hat, müssen mindestens 500 Exemplare wieder vorhanden sein.
Die australische Wildbiene Pharohylaeus lactiferus ist etwas kleiner als unsere Honigbiene, schwarz mit weißer Zeichnung am Kopf und sehr selten. 1923 wurde sie für knapp 100 Jahre das letzte Mal gesehen. 2021 hat der australische Biologe James B. Dorey von der Flinders University in Adelaide nach mühsamer Suche in New South Wales und Queensland drei Populationen wiedergefunden. Diese Bienenart lebt in feuchtwarmen, tropischen Wäldern. Durch Rodungen und Waldbrände war und ist sie weiterhin bedroht. Wissenschaftler empfehlen diese wunderbaren Tiere durch Biomonitoring und Schutz ihres Lebensraums zu retten.
1962 wurde bei Garmisch-Patenkirchen das erste Mal die Bayerische Kurzohrmaus (Microtus bavaricus) gesichtet. Kurze Zeit später, noch im selben Jahr, war sie schon wieder verschollen. Im Jahr 2001 tauchte sie unerwartet im Rofangebirge in Tirol wieder auf. Sie gehört zu der Familie der Wühlmäuse und ist eine seltene Kleinwühlmaus mit winzigen Augen und im kurzen Fell verborgenen Ohren, die an einen Hamster erinnert. Man vermutet, dass diese Maus die Eiszeit überlebt hat. In Bayern konnte sie trotz vieler ausführlicher Bemühungen nicht mehr nachgewiesen werden. Sie gehört zu den seltensten Säugetieren der Welt und ist zu einem der Symbole für Artenschutz geworden.
Die Pernambuco-Stechpalme wurde weltweit 186 Jahre lang vermisst und ist einer der seltensten Bäume der Welt. 1861 wurde sie von dem Botaniker Siegfried Reissek wissenschaftlich dokumentiert, nachdem sie 1838 George Gardner in Brasilien erstmals gefunden hatte und Pflanzenteile von ihr sammelte. Direkt danach galt sie schon als ausgestorben. In differenzierter, mühevoller und ausführlicher Suche haben Gustavo Martinelli, Naturschutzorganisationen und wissenschaftliche Institutionen im Verbund diese extrem seltene und lange Zeit verschwundene Stechpalme im nordöstlichen Brasilien in diesem Jahr wieder ausfindig gemacht. Die vier wiederentdeckten Bäume stehen am Rande einer Zuckerrohrplantage, wo noch Reste von einem ehemaligen Regenwald vorhanden sind. Da es ca. 400 verschiedene Arten von Stechpalmen gibt, war es nicht einfach, diese seltene Art zu identifizieren. Es gelang dem Team schließlich anhand der für die Pernambuco-Stechpalme typischen weißlich-grünen, sehr kleinen Blüten. Die vier Bäume werden seitdem wöchentlich überwacht, in der Hoffnung für eine Weiterverbreitung Früchte und Samen sammeln zu können.
Der Gänsegeier kommt nach über 100 Jahren zurück nach Deutschland
Eine Sensation entdeckte man im Nationalpark der Eifel, denn der Gänsegeier kehrte dieses Jahr im Juni zurück. In Deutschland war er seit über 100 Jahren ausgestorben. Man hat ihn seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts systematisch und zunehmend ausgerottet, indem man ihn gejagt und vergiftet hat. Zudem konnte er hierzulande nicht mehr überleben, da ihm sein Futter sozusagen weggeräumt worden ist. Tote Tiere, die in der Natur einfach dazugehören und ihren Sinn haben, sind seine Nahrung. Tierkadaver werden jedoch bei uns nicht liegen gelassen. In einigen anderen Ländern ist dies normal. Somit war er in Deutschland wenn, dann nur kurzzeitig Gast. Seine Heimat ist normalerweise in ganz Europa, Asien und Nordafrika. Ob dieser große, majestätische und beeindruckende Vogel mit einer Flugspannweite von bis zu drei Metern diesmal auf längere Sicht wieder bei uns heimisch wird, ist noch unklar. Die 21 in der Eifel durch Kamerafallen gesichteten Jungtiere kamen aus Spanien und Frankreich. Der Grund ist ein auf drei Jahre angelegtes Großprojekt, bei dem gezielt Tierkadaver ausgelegt werden. Die Rückkehr der jungen Gänsegeier zählte zu einem der ersten Erfolge dieses Projekts.
In Spanien gibt es mit 22.000 Brutpaaren europaweit die meisten dieser in der Antike heiligen Vögel. Gänsegeier sind sehr sozial und intelligent und leisten einen enorm wichtigen Beitrag zu einem gesunden Ökosystem. Tierschutzorganisationen nehmen sich ihrer immer mehr an und versuchen sie dort, wo sie ausgerottet worden sind, wieder anzusiedeln.
Wieso die für ausgestorben geltenden Tier- und Pflanzenarten wieder auftauchen, kann man nur vermuten. Vielleicht ist es ein Hinweis darauf, dass die Selbstheilungskräfte der Natur immens groß sind.
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